Neu-Ulm, 10. September 2021
Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft. Selbst diejenigen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind haben verglichen mit Nachbarländern und anderen Staaten in denen es keine sozialen Auffangmöglichkeiten gibt verhältnismäßig viel und können zumindest ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Die meisten Menschen in Deutschland leben jedoch umgeben von materiellem Wohlstand und in materieller Vielfalt. Günstige Lebensmittel hier, billige Elektroware aus Fernost dort, Kleidung zu Dumpingpreisen aus Indien und Bangladesch.
Doch brauchen wir das alles? Das Internet suggeriert uns (und vor allem jungen Menschen): Ja! Wir leben in einer Lifestyle-Welt, die Selbstinszenierung und -darstellung auf Sozial Media Kanälen wie Instagram kennen kaum noch Grenzen. Influencer malen das Bild einer perfekten Welt und Jugendliche und junge Erwachsene, auf der Suche nach der eigenen Persönlichkeit und Stellung im Leben, folgen nicht selten wie Lemminge und versuchen diesen Menschen nachzueifern.
Es ist leicht, Themen auf eine Generation abzuwälzen und darüber zu urteilen, der man selbst nicht angehört. Doch reicht auch bei vermutlich fast jedem von uns ein Blick in den Kleiderschrank, den Kellerraum oder eine „Rumpelkammer“. Der Fernsehjournalist Jenke von Willmsdorf hat genau diesen Blick gewagt. Ein Blick in das eigene Zuhause, die eigenen vier Wände, auf die Gegenstände die sich bei ihm angesammelt haben. Zusammen mit seinem Team wurden all diese persönlichen Dinge gesammelt, kategorisiert und gezählt. Was herauskommt, ist die nackte Wahrheit, die wir zumindest in Teilen auch bei uns selbst wiederfinden würden.
114 Paar Hosen (Bundesdurchschnitt 8 Paar Hosen), 985 Bücher, 38 Handtücher, 1.100 Quittungen, 153 Jacken. Über 15.000 persönliche Gegenstände besitzt er, ohne teilweise zu wissen, was es ist, wo es herkommt und dass es überhaupt ihm gehört. Dass er dabei in vielen Bereichen, wie bei Jacken und Hosen, ein Extremfall ist, steht außer Frage. Doch das vermutlich in jedem Haushalt Dinge gekauft und gehortet werden, deren Sinn und Zweck mehr als fragwürdig ist, muss ebenfalls festgehalte werden.
2018 wurde das Thema auf humoristische Art und Weise im Film 100 Dinge verarbeitet. Obwohl es sich bei dem Film um eine Komödie handelte wurde eines klar. Wir besitzen zu viel und reden uns ein, dass es uns glücklich macht. Doch wie viel ist zu viel? Und ab wann sind wir glücklich?
Die Wissenschaft hat hierzu lange Jahre auf Studienergebnisse vertraut, die besagen, dass ab einem jährlichen Einkommen von umgerechnet 75.000 US-Dollar die Lebenszufriedenheit und das „Glücksempfinden“ im Alltag nicht mehr steigt. Neuste Studienergebnisse von Psychologe Matthew Killingsworth, welche auf einer Echtzeitbefragung via Smartphone und genaueren Messskalen beruhen (Skala statt bislang dichotome Antworten), zeigen ein verändertes Bild. Die Zufriedenheit und das Glücksgefühl steigen auch bei höheren Einkommen weiter an. Der Grenznutzen setzt später ein. Wie hoch das Einkommen sein muss, ab dem der Grenznutzen abnimmt, konnten die Forschenden in ihrer Studie nicht feststellen. Doch was bedeutet das in Übertragung auf unseren Kleiderschrank und unsere eigenen vier Wände?
In einem TED-Talk aus dem Jahr 2014 redete eben der Psychologe Matthew Killingsworth über Glück und Zufriedenheit. Wir alle kaufen Dinge – primär Konsumgüter – nicht wegen ihrem Wert oder, weil wir sie zwangsläufig benötigen, sondern weil wir uns von ihnen versprechen, dass sie uns ein Glücksgefühl vermitteln und uns glücklicher machen. Doch tun sie das wirklich? Die Wissenschaft hat hierauf noch keine valide Antwort. Fest steht jedoch, dass ein wesentlich größerer Einfluss auf unsere Zufriedenheit und unser Glücksgefühl daraus resultiert mit wem wir uns umgeben, mit wem wir zusammen Dinge erleben und welche Momente uns im Gedächtnis bleiben. Vermutlich fast jede:r hat eine Reise oder ein Erlebnis, an welches er oder sie sich heute noch genau erinnert und was die Augen zum Leuchten bringt. Blicken wir also zurück in den Kleiderschrank und schauen unsere 13. Hose an oder unser 20. T-Shirts. Leuchten unsere Augen? Schwelgen wir in Erinnerungen? Erzählen wir davon unseren Freunden und Verwandten noch in Jahrzehnten? Wohl kaum.
Es geht also nicht darum immer mehr materielle Dinge zu horten und sich anzueignen um das kurze Gefühl des Glücks festzuhalten. Vielmehr müssen wir uns die Frage stellen, was benötigen wir wirklich und wie wollen wir das hier und jetzt erleben. Was macht uns zufrieden. Studienergebnisse von Psychologe Killingsworth zeigen, dass wir in mind. 30 Prozent aller Aktivitäten die wir tun uns gedanklich mit anderen Dingen beschäftigen (mind-wandering). Unabhängig ob diese „anderen Dinge“ positiv, neutral oder negativ sind, machen sie uns in der Situation unzufriedener. Das Erleben des hier und jetzt hat daher eine größere Auswirkung auf das Thema Glück, als wir bislang angenommen haben. Doch wie verhält es sich nun mit unserem Konsumverhalten?
Oftmals fällt in diesem Zusammenhang das Wort Minimalismus. Dies ist jedoch eine extreme Art von der modernen Konsumgesellschaft Abstand zu nehmen und die wenigsten Menschen schaffen es, dies konsequent durchzusetzen und dabei wirklich ihr persönliches Glück zu finden. Ein Einstieg aus dem „immer mehr“ kann sein, sich seine Kaufentscheidungen gründlich zu überlegen. Wen ein Gegenstand als erstrebenswert gilt, warten Sie doch einfach mal einen Monat ab. Ggf. machen Sie sich in diesem Monat Gedanken über den Gegenstand, vielleicht denken Sie aber auch überhaupt nicht an ihn. Wenn Sie nach einem Monat immer noch vollkommen überzeugt davon sind, dass Ihnen der Gegenstand zu einem glücklicheren und zufriedeneren Leben verhelfen wird, dann kaufen Sie ihn. In über 90 Prozent der Fälle werden Sie jedoch feststellen, dass Sie den Gegenstand doch nicht benötigen und verzichten auf einen Kauf. Eine weitere Methode ist, selten genutzte Gegenstände mit einem Zettel zu versehen. Auf dem steht das Datum der letzten Nutzung. Alles was länger als ein Jahr ungenutzt blieb, wird weggegeben (verkauft, verschenkt, gespendet), ohne Wenn und Aber. Im Nachgang werden Sie feststellen, dass Sie die Gegenstände nicht vermissen, da sie zu ihnen nie eine emotionale Verbindung hatten oder sie einen Mehrwert geboten haben.
Allein diese beiden nicht sehr aufwändigen und schnell zu integrierenden Vorgehensweisen helfen dabei zu erfahren, was wirklich nützlich und wichtig ist, welcher materiellen Dinge im Alltag einen Mehrwert bieten und was vielleicht nur die 14. Hose oder das 21. T-Shirt wäre. Dabei geht es nicht darum auf Konsum zu verzichten, sondern vielmehr ein Bewusstsein dafür zu bilden, was man wirklich braucht welche Folgen der eigene Konsum hat.
Quellen:
https://www.pnas.org/content/118/4/e2016976118
https://www.filmstarts.de/kritiken/259211.html
Photo by Jordan Nix on Unsplash
Comments are closed.